Europa

Auf einen Strudel in Österreichs höchstem Café

28. Dezember 2021

In den Alpen kommt man auch ohne Kletterausrüstung leicht auf Höhen über 3000 Meter, sogar Hotels und Cafés gibt es so hoch auf den Bergen. Doch nicht jeder kommt mit der dünnen Luft gut klar – und die Bewirtung folgt eigenen Gesetzen.

Café 3440 mit Blick auf die Wildspitze

Café 3440 mit Blick auf die Wildspitze

Es ist wohl einer der kurioseren Arbeitswege Österreichs, den der Konditor täglich antritt. Ganz tief rein ins österreichische Pitztal, nach Mandarfen muss er fahren. Bis es nicht mehr geht und die Straße in einen Parkplatz mündet. Den der Gletscherbahn. Dann in den Gletscherexpress. Eine silberne Schrägstollenbahn, die auf 3786 Metern Fahrtweg 1100 Meter Höhe überwindet. Talstation: 1740 Meter. Bergstation: 2840 Meter. Dort ist sein Arbeitsplatz: die Backstube. Und das ist gar nicht so einfach, denn die Höhe macht so einiges mit den Zutaten und dem Backwerk. Und bei knapp 3000 Metern, seinem Arbeitsplatz, ist noch nicht Schluss. Bis auf 3440 Meter werden die Strudel, Kuchen und Torten transportiert, die der Konditor fertigt. Das ist der höchste Punkt im Skigebiet Pitztaler Gletscher. Und es ist der höchste Punkt, den man in ganz Österreich derzeit mit einer Bergbahn erreichen kann.

Der Apfelstrudel, den sie hier oben kiloweise brauchen, ist noch das leichteste Rezept im Repertoire des Konditors. Die Äpfel kommen getrocknet in seine Backstube hinter dem Restaurant und müssen präpariert werden. Er hätte gar keine Zeit, die Zentner Äpfel zu schälen und zu schneiden, die es für die beliebte Süßspeise braucht. Äpfel, Rosinen, Zucker, Zimt – in den Teig gerollt und fertig ist der Strudel für den Ofen. Ganz anders sieht es bei den Torten aus, die er jeden Tag herstellt – denn der Biskuit ist eine Sache für sich. Er muss schön leicht und locker sein – aber dem Rezept aus dem Tal macht die Höhe einen Strich durch die Rechnung. Und der Luftdruck. Denn bei Tiefdruck ist es viel schwieriger, Volumen in die Masse hineinzuschlagen. Es braucht also ein gutes Gespür – für den Teig und das Wetter.

Der Konditor hat quasi eine Standleitung zum „Café 3.440“. Von dort meldet sich das Team, wenn der Kuchen ausgeht – aber oben haben sie noch ganz andere Probleme. „Als das Kaffeehaus öffnete, funktionierte das Mahlwerk der Kaffeemaschine nicht richtig“, erinnert sich Sepp Eiter, der Wirt. Ein Kaffeehaus ohne Kaffee – schwierig, vor allem in Österreich. Also mussten sowohl die Firma als auch der Barista lange probieren, wie man die Gegebenheiten überlisten konnte. „Die Lösung ist, weniger Bohnen in die Maschine zu geben, dann verklebt das Mahlwerk nicht.“

Doch nicht nur Kaffeekochen ist schwierig – auch das Kochen allgemein folgt seinen eigenen Bedingungen. So dauert es schon auf etwa 2000 Metern gut und gern 20 Minuten, bis ein hartgekochtes Ei auch tatsächlich hart gekocht ist. Und je höher man ist, um so mehr Zeit muss man haben. „Es dauert schon deutlich länger, bis das Wasser überhaupt kocht – und das, obwohl der Siedepunkt niedriger ist“, sagt Eiter. Das ist beispielsweise bei Knödeln ein Problem, denn der Teig fällt auseinander. Aber auch hierfür hat sich eine Lösung gefunden: Dampf. An die gängigen Küchenregeln kann man sich hier also nicht unbedingt halten. Kreativität und Phantasie sind gefragt. „Hier oben muss man sich zu helfen wissen“, sagt Eiter. Und die nötige Ruhe mitbringen.

Doch nicht nur für Kaffee, Kuchen und Knödel ist die Höhe eine echte Herausforderung. Auch für die Gäste ist sie das. Kurzatmig wird man bei der kleinsten Anstrengung, manchem wird schwarz vor Augen. Ab und zu fällt jemand in Ohnmacht, das gehört fast zum Alltag. Wer die wirklich atemberaubende Aussicht auf dem Pitztaler Gletscher genießen will, kann direkt vom Café 3.440 aus über eine eiserne Treppe noch ein paar Meter weiter nach oben steigen. Doch das ist für so manchen, auf vermeintlich trainierten, Besucher mit viel Schnaufen verbunden. „Es kann jeden treffen“, sagt Eiter. Die Fitten genauso wie die Gemütlichen. Denn es kommt darauf an, ob man die Höhe verträgt oder nicht. Und das weiß man erst, wenn man schon oben ist.

Noch viel stärker zeigt sich der Effekt, wenn man in einem der höchsten Hotels in den Alpen schlafen will – auf dem Gornergrat in der Schweiz etwa oder auf dem Schnalstaler Gletscher in Südtirol. Vor allem die erste Nacht ist für viele in der dünnen Luft schwierig. So mancher macht kein Auge zu und ist am Morgen vollkommen gerädert. Als „Erlebnis“ wird das dann verbucht – und mitunter trotzdem belohnt. Entweder, weil man als erste auf der frischen Skipiste ist. Oder weil man einen Sonnenaufgang mitten in den Bergen zu sehen bekommt, der noch sehr lange im Gedächtnis bleiben wird.