Vancouver Island ist der Himmel für Wohnmobile. Mike MacEacheran und seine Familie strarten zu einem traumhaften Roadtrip – und erleben traumhafte Strände, schimmernde Seen und Safaris zu den Schwarzbären.
Vancouver Island und ein Wohnmobil entfesseln unsere Abenteuerlust
Unter den Baumkronen im frühen Abendlicht flackerten die Douglasien am Lake Cowichan in bernsteinfarbenen, goldenen und orangefarbenen Tönen. Mit dem Versprechen, nach dem Abendessen Marshmallows zu rösten, hatten wir unsere Kinder ausreichend bestochen, dass sie mit auf Wanderschaft gehen. Also kletterten wir – zwei Schritte vor, einen zurück – durch den Wald, um in der Gordon Bay zu baden, einem natürlichen Schwimmbad, das von Baumstämmen begrenzt wird.
Enten und ein Weißkopfseeadler flogen über unseren Köpfen. Im Vorbeigehen erinnerte uns der Parkwächter an die Regeln, sollte uns ein Bär begegnen: Vorsicht walten lassen, Abstand halten, sie nicht füttern, den Platz sauber halten. Ich bin sicher, dass wir bei dem Lärm, den meine Kinder machten, keinem begegnet wären. Dann sah meine Frau sie: zwei dunkle Augen, die durch den unheimlichen Wald zurückspähten, direkt über einer zuckenden Schnauze. Es war ein scheuer Schwarzwedelhirsch auf der Flucht, kein zähneknirschender Bär, der darauf wartete, zuzuschlagen. Aber es war auch ein flüchtiger Eindruck davon, wie ungezähmt Vancouver Island sein kann. Unsere Wanderung zurück zum Camp war im Eiltempo erledigt.
Dieses Gefühl von Abenteuer ist wohl der Grund, warum wir hierher gekommen sind. Ich war schon einmal auf Vancouver Island in British Columbia. Ich war sogar schon zweimal ganz in den Norden gefahren, bis an die Spitze nach Port Hardy, das fast nicht auf der Karte zu finden ist. Nur hatte ich sie nie als geeignet für einen Familienurlaub empfunden. Mit einem Fünf- und einem Zweijährigen für zehn Tage in ein Wohnmobil gepfercht? Nein danke.
Diese „verdammt netten“ Kanadier machen den Deal perfekt
Aber in den letzten zwei Jahren hat sich das alles geändert. Wir waren auf der Suche nach einem Ort, der sich so stark von zuhause unterscheidet wie nur eben möglich. Offene Straßen, Berge, Küste, grüne Wälder und wilde Tiere schienen ideal – und natürlich Kanadas größte USPs. Dann prüften wir die praktischen Aspekte des Pazifischen Nordwestens. Erschwingliche Flüge nach Vancouver? Ja. Eine malerische Fährfahrt über die Strait of Georgia nach Nanaimo? Ja. Mehrere günstige Campingplätze in Provinzparks? Sehr gut möglich. Eine vollwertige Foodtruck-Szene, die uns das Kochen erspart? Ein weiteres Kästchen angekreuzt. Wir waren begeistert. Außerdem sind die Kanadier einfach so verdammt nett.
Vancouver Island: So groß wie Belgien und viel wilder
Es war Ende Juli – und die ersten Tage waren einfach nur atemberaubend. Vancouver Island ist etwa so groß wie Belgien und wird von wunderbar feinem Sand gesäumt, der sanft in Wellen und kinderfreundliche Buchten abfällt. Sogar die kühlen Seen, Wasserfälle und Flusstümpel im Landesinneren haben eine traumhafte blau-grüne Färbung und zogen uns förmlich ins Wasser.
Nach dem Gordon Bay Provincial Park am Lake Cowichan fuhren wir nördlich an Parksville vorbei zu den Englishman River Falls. Diese wurden von den Ureinwohnern nach einem Engländer benannt, der bei dem Versuch, die Stromschnellen zu überwinden, ertrank. Dann ging es weiter zum Sproat Lake.
Die umliegenden Gipfel ragten in die Höhe und der See war warm genug, um das aufblasbare Raketenschiff unseres Sohnes aufzupusten. Später verbrannten wir Würstchen, rösteten weitere Marshmallows am Lagerfeuer und waren dem Ranger dankbar, der uns ein Paket mit frisch geschnittenem Brennholz vor die Tür unseres Wohnmobils lieferte. Bärengeschichten gab es diesmal nicht.
Als es schließlich dunkel wurde, verschwanden wir in der vergessenen Welt des Waldes. Da wir wegen des dichten Blätterdachs über uns nicht einmal die Sterne sehen konnten, waren wir dankbar für das funkensprühende Lagerfeuer, um das herum wir uns zufriedener denn je fühlten.
Ein historischer Roadtrip-Moment
Am nächsten Morgen war es Zeit für ein wenig Kultur der First Nations, so heißen die Ureinwohner in Kanada. Im zweitgrößten Land der Erde gibt es mehr als 630 anerkannte indigene Gemeinschaften. Allein auf Vancouver Island gibt es 50 einzelne Stämme. Sie verteilen sich auf die sich überschneidenden Gebiete der Kwakwaka’wakw, der Nootka und der Coastal Salish. Ihre Geschichte aus der Zeit vor der Besiedlung zeigt das Kanada, wie es vor Holzfällern, Eishockey und Celine Dion war.
Unglaublich, aber es gibt prähistorische Petroglyphen auf einer Klippe über dem Sproat Lake. Und die archäologische Fundstätte K’ak’awin mit ihren Felszeichnungen zeigt in den Augen meiner Kinder einen Orca mit Flügeln, einen auf dem Kopf stehenden Wolf und ein Seeungeheuer mit Krokodilkiemen. Noch merkwürdiger war, dass außer uns niemand diese Kunstwerke anschaute. Wir waren herrlich allein.
Die Strände von Vancouver Island bieten pastellige Sonnenuntergänge
Das Einzige, was auf Vancouver Island noch häufiger ist als die Totempfähle der Ureinwohner, die Drucke von Donnervögeln und Raben und die handgewebten Decken, ist der Strand. Entlang der 285 Meilen langen Pazifikküste erstrecken sich riesige Strandabschnitte, die frei zugänglich sind. Sie reichen von sturmgepeitschten Sandstränden, auf denen angeschwemmte Baumstämme liegen bis zu feinen Stränden, die an Hawaii erinnern – wenn die Temperaturen auch etwas anders sind. Mit etwas Glück hat man den Strand sogar ganz für sich allein.
Wir fuhren weiter westlich bis zum Ende der Straße durch das Pacific Rim National Park Reserve und nach Tofino. Das ist ein Shangri-La für Vancouver-Bewohner, die hier ihren jährlichen Sommerurlaub verbringen, und wir waren bei weitem nicht allein. Aber die Strände hier sind unwiderstehlich für Surfer im Neoprenanzug, wie meine Frau, und für Boogieboarder, wie meinen Sohn und mich. Die kitschig-pinken Sonnenuntergänge ziehen auch jeden Anti-Romantiker in ihren Bann – und Party machen können auch die Kanadier. Während die Kinder in der Abenddämmerung den Wellen hinterherjagten und Sandburgen bauten, ließen wir uns mit einem gekühlten Rosé nieder – den wir natürlich in unsere Kaffeetassen füllten, British Columbia hat strenge Gesetzte gegen offene Alkohol-Gefäße.
In Tofino fühlen wir uns wie Entdecker
Vier Nächte lang blieben wir im Surf Grove an der Cox Bay. Das ist ein toller Campingplatz, der zwischen den Fichten am Strand versteckt liegt und nur einen Katzensprung von einer halbmondförmigen Bucht entfernt ist. Hier sorgten weicher Sand und schäumende Wellen für ein enormes Gefühl des Wohlbefindens und der Ruhe. Jeden Morgen nach dem Frühstück – natürlich kanadischer Speck mit Toast und Ahornsirup – rannten unsere Kinder mit großen Augen zum Strand hinunter, bevor wir daran gedacht hatten, ihnen die Zähne zu putzen. Egal. Wir blieben meist den Rest des Tages.
Tofino ist der Ort, der am ehesten dazu hinreißt, sich wie ein Entdecker zu fühlen. Hier kannst du mit dem Kajak in Sichtweite von Delfinen durch die von Buchten durchzogene Landschaft fahren. Oder mit dem SUP neben Seelöwen zu einer Insel im Clayoquot Sound paddeln. Wahlweise kannst du zum Bear Watching rund um die unbewohnte Meares Insel und die kleinen umliegenden Inselchen fahren.
Wir haben uns für eine dreistündige Tour mit West Coast Aquatic Safaris entschieden. Das war genau das Richtige für Familien mit kleinen Kindern. Der Soundtrack bestand aus gedämpftem Quietschen und Lachen, begleitet von Bären, die aus den Wäldern an die Küste schlurften, um bei Ebbe Seepocken zu knacken und Muscheln mit der Zunge auszuzuzeln. Die Kinder waren glücklich, weil sie zum ersten Mal fünf echte Bären in der Wildnis sahen. Eltern wie wir waren glücklich, weil die Kinder völlig fasziniert waren und keiner auch nur auf die Idee kam, zu quengeln.
Tausch von Wohnmobilen gegen Fahrräder und Imbisswagen
Zum Sonnenuntergang entschieden wir uns für eine Radtour mit der Familie zum Chesterman Beach. Wir mieteten Fahrräder und einen Anhänger bei Tofino Bike Co. und stiegen bei Tacofino aus: einem Food Truck im Süden der Stadt. Die Thunfisch-Tacos sind eine Offenbarung, die Surfer lieben sie – vor allem mit einem kühlen IPA, am besten aus der nahe gelegenen Tofino Brewing Co. Der „Wow-Faktor“ war so groß, dass wir gleich zweimal hingingen.
Das Schöne an einem Besuch auf Vancouver Island im Sommer ist, dass der Strand immer wartet. Tofino kann von Familien überlaufen sein, aber es gibt noch Dutzende anderer Strände in der Urlaubsbroschüre, die man unbedingt gesehen haben muss. Zum Beispiel der wunderschöne Long Beach des Pacific Rim National Park Reserve. Er ist der längste Strand auf Vancouver Island und bietet viel Raum für jeden – und seinen Hund.
Ruhe vor anderen Besuchern, wenn auch nicht vor den Wellen, findet man auch entlang der Westküste bis hinunter nach Ucluelet, einer Gemeinde der Ureinwohner, in der die „Menschen des sicheren Hafens“ leben. Doch stattdessen packten wir das Wohnmobil zusammen und fuhren zurück nach Osten. Hundert Meilen nach Osten, um genau zu sein, zum Rathtrevor Beach Provincial Park, der sich als Lieblingsaufenthaltsort unserer Kinder herausstellte. Und selbst ich hatte so etwas noch nie gesehen.
Ein kindlicher Rhythmus webt sich in jeden Tag
Das Besondere war nicht der Rahmen der schneebedeckten Küstenberge, die den Horizont auf der anderen Seite der Strait of Georgia ausfüllten. Oder die bewaldeten Pfade oder die behelfsmäßigen Strandhütten aus angeschwemmtem Holz entlang des Ufers. Es war das flache Wasser in der Bucht, das meinen Zweijährigen einfach nur den ganzen Tag da sein lassen wollte und sein Selbstbewusstsein stärkte.
Bei Ebbe zieht sich das Meer fast eine Meile zurück und hinterlässt eine riesige Sandfläche zum Spielen. Bei Flut kommt es in Zeitlupe zurück und lässt sonnenbeschienene flache Pools und Sandinseln entstehen, die von sanft wirbelndem Wasser umgeben sind. Schon bald spielten die meisten Kinder am Strand „König der Burg“ und beanspruchten mit Spaten und Eimerkronen Königreiche für sich. Wie durch ein Wunder verschwanden dann alle Inseln dieses vorübergehenden Archipels langsam, als das Wasser stieg und die Mini-Reiche ins Meer fielen.
Dieser langsame, kindliche Rhythmus schien hier in den Alltag eingewoben zu sein. Aber wir mussten Rathtrevor Beach – und damit auch Vancouver Island – verlassen, bevor die Sonne unterging – vor allem aber, bevor unsere Kinder bereit waren zu gehen.
Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits mehr als eine Woche im Wohnmobil verbracht – wahrscheinlich genug, um in vielen Familien Streitereien aufkommen zu lassen. Wir aber hatten unterschätzt, wie sehr wir diesen Roadtrip vom Strand zur Surfbude, zum Food Truck und zum Campingplatz genießen würden. Wie bezaubernd wir den Sand, den Himmel, die Sonnenuntergänge und die gebratenen Würstchen finden würden. Wir haben Vancouver Island von Anfang an geliebt und wollten gar nicht mehr weg. Als es an der Zeit war, zurück nach Nanaimo zu fahren, um mit der Fähre nach Vancouver überzusetzen und die Schlüssel des Wohnmobils zurückzugeben, brachen die Wutanfälle aus. Und die Erpressung mit Eiscreme begann.